Aussenhandelsrecht

Das sechste Paket der EU-Russland-Sanktionen: Auswirkungen für die maritime Wirtschaft

1. Wirtschaftsgüterbezogene Sanktionen

Mit Verweis auf unseren vorherigen JusLetter und die besondere Aktualität des Themas anlässlich des G7-Gipfels in Deutschland möchten wir die weiteren Entwicklungen der EU-Russland-Sanktionen überblicksartig darstellen. Im Rahmen des sogenannten sechsten Sanktionspakets sind in der EU einmal mehr Bereiche der maritimen Wirtschaft in den Mittelpunkt gestellt worden. Die spektakulärste und sicherlich auch weitreichendste Maßnahme dieses Sanktionspaketes ist das vollständige Einfuhrverbot von russischem Öl auf dem Seeweg, sprich per Schiff.

Bei Handelsbeschränkungen, die sich auf bestimmte Wirtschaftsgüter beziehen, stellt sich neben der Regulierung schnell die Frage nach der wirksamen Kontrolle der Einhaltung derartiger Regulierung. Gerade bei einer leicht handelbaren Ware wie Gold spielt es dabei eine Rolle, wie umfassend die Gemeinschaft der sanktionierenden Staaten im Hinblick auf die Absatzmöglichkeiten des Weltmarktes ist.

Bedenkt man, dass ein Importvolumen der EU für Rohöl im Wert von 48 Mrd. EUR und raffinierte Erdölerzeugnisse im Wert von 23 Mrd. EUR aus Russland für das Jahr 2021 berechnet wurde und dass etwa neun Zehntel davon per Schiff transportiert wurden, so wird schnell ersichtlich, dass es bei dem Einfuhrverbot russischen Öls um ganz erhebliche Beträge geht. Ein derartiger Rückgang von Handelsaktivitäten muss deutlich spürbare Auswirkungen nach sich ziehen. Zwar tritt dieses Sanktionspaket mit unmittelbarer Wirkung in Kraft, in einem Übergangszeitraum ist es allerdings erlaubt, bereits geschlossene Verträge noch abzuwickeln. Daher ist davon auszugehen, dass die finanziellen Konsequenzen dieses Sanktionspakets erst in sechs bis acht Monaten zu spüren sein werden. Sollten sich für Russland Einnahmen auch nicht durch die Lieferung von Gas realisieren lassen, so wird nur eine Veränderung seines Absatzmarktes die Stabilität einer seiner wichtigsten Einnahmequellen aus dem Verkauf natürlicher Ressourcen sichern. Für bestimmte mit Pipelines erreichbare Länder der EU sind zwar Ausnahmeregelungen vorgesehen, gemessen am Gesamtumfang des Importvolumens handelt es sich dabei allerdings um weniger signifikante Mengen.

2. Einbeziehung der Versicherungswirtschaft

Was die Verschiebung von Absatzmärkten betrifft, so ist auf eine ganz wesentliche weitere Regelung des sechsten Paketes der EU-Russland-Sanktionen hinzuweisen. Denn der Übergangsfrist zur Abwicklung bereits vereinbarter Verträge entsprechend wird es nunmehr in weniger als einem halben Jahr verboten sein, Transporte von Öl aus Russland zu versichern, sei es in Form einer direkten Versicherung oder als Rückversicherer. Die Versicherungsmärkte lassen sich nur schwerlich geographisch verändern. An der Durchführung von Sanktionen umfasster Geschäfte haben betroffene Versicherer kein eigenes Interesse, sie werden ihr Interesse an der Einhaltung der Sanktionen durchzusetzen versuchen. Von daher ist es sehr naheliegend, dass die Versicherer – basierend auf den Erfahrungen mit den Sanktionen gegenüber dem Iran – Konzepte entwickeln werden, die es ihnen ermöglichen, ihre mit dem sechsten Paket der EU-Russland-Sanktionen einhergehenden Verpflichtungen einzuhalten. Dabei wird auf die Gestaltung von Versicherungsverträgen dergestalt zu achten sein, dass sie ein automatisches „Löschen“ des Versicherungsverhältnisses bei Verletzung der Sanktionen vorsehen. Für Reedereien und am Ölhandel beteiligte Firmen tritt damit bei der möglichen Verletzung von Sanktionen neben die staatliche Sanktionierung das mit dem Verlust einer Versicherung einhergehende erhebliche wirtschaftliche Risiko. Damit ist diese Regelung als besonders effektiv anzusehen, denn es ist schwer vorstellbar, wie in recht kurzer Zeit so viel Tonnage geschaffen werden sollte, die auf die Einhaltung der EU-Russland-Sanktionen keinen Wert legt. Damit wird der Zugang zu Absatzmärkten außerhalb der EU also in wirkungsvoller Weise blockiert.

3. Operationelle Herausforderungen

Wie schon in unserem vorhergegangenen Jusletter angesprochen, ist besondere Vorsicht bei jeder Art von „Ship to Ship“- (STS-) Geschäften geboten. Denn für den Fall, dass der Ursprung des Rohöls oder der raffinierten Erdölerzeugnisse aus Russland nachgewiesen werden kann, wird es für die betroffene Reederei nicht einfach möglich sein, auf eine längere Kette von STS-Operationen zu verweisen, die ihr eine Bestimmung der Herkunft erschwert haben mag. Es wird von Reedereien vielmehr zu verlangen sein, stets genau nachzuweisen, dass auf einem Schiff transportiertes Öl nicht russischen Ursprungs ist. Für den Fall ungeklärter Herkunft ist stets eine restriktive Handhabung zu empfehlen. Nicht nur staatliche Maßnahmen, sondern auch der Verlust des Versicherungsschutzes stellen ein scharfes Damoklesschwert dar.

Auf Grundlage der Verordnung (EU) 2022/879 des Europäischen Rates ist es zudem ein Erfordernis für die Versicherer, die Einhaltung der Sanktionsvorschriften sicherzustellen. Dabei gilt es nicht nur die versicherungsvertragsrechtliche Gestaltung gegenüber den Versicherungsnehmern oder – im Fall der P&I-Haftpflichtversicherung – gegenüber den Mitgliedsreedereien zu gestalten, sondern zudem auf tatsächlicher Ebene sicherzustellen, dass eine Versicherung von Transporten russischen Öls unterbleibt. Die ansonsten nicht in direkter Verantwortung für operative Transporttätigkeiten stehenden Versicherungen werden somit durch die Regelungen des sechsten Pakets der EU-Russland- Sanktionen genau auf dieser Ebene miteinbezogen.

Für Versicherungen bergen diese Regelungen insofern besondere Compliance-Risiken in sich. Denn operative Geschäfte der von ihnen versicherten Transporteure unterliegen zunächst einmal nicht der direkten Einflussnahme eines Versicherers. Reine Anzeigepflichten der Transporteure erscheinen auch keinen ausreichenden Schutz aus Sicht der Versicherungswirtschaft zu bieten.

Zu beachten ist dabei, dass die Regelung auch für mittelbare Ölgeschäfte für Öl russischen Ursprungs gilt. Ein Import über ein Drittland, ob auf dem Seeweg transportiert oder durch Pipelines, soll so verhindert werden. Sicherzustellen ist dies nur durch strengste Überwachung der Lieferketten beim Transport von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen.

Ein Versicherer, der die Einhaltung der Sanktionsregelungen sicherstellen möchte, benötigt daher für diese operationelle Ebene besondere Kontrollrechte. Eine generelle Zurverfügungstellung von Versicherungslösungen für den Transport von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen scheint damit nur schwierig in Einklang zu bringen zu sein.

4. Mögliche Konzepte zur Sicherstellung der Compliance

Vorstellbar wäre ein Konzept, durch das die Versicherungen von einer vorherigen Prüfung durch den Versicherer abhängig gemacht werden. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass nicht nur das direkte Versicherungsgeschäft, sondern auch die Rückversicherung von den Regelungen umfasst sind. Ohne erheblichen Zeit- und Personalaufwand für alle am Transport von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen Beteiligten – eingeschlossen Versicherer und Rückversicherer – lässt es sich nur schwer vorstellen, wie die Einhaltung der Sanktionsregelungen sichergestellt werden soll.

Ein erheblicher Faktor dürfte auch werden, dass die Sanktionen zunehmend auf russischer Seite Auswirkungen zeigen. Das erhöht die Risiken, dass eine Steuerung verbotener Umgehungsgeschäfte konzipiert wird. Zumindest ist es nicht unwahrscheinlich, dass russische Maßnahmen bei sinkenden Absatzzahlen erfolgen.

Um effektiv verbotene Umgehunggeschäfte zu verhindern und auch sicherzustellen, dass diese nicht unbewusst geschehen, sollten die für die Compliance zuständigen Mitarbeiter bei Transporteuren, Versicherern und Rückversicherern ihren besonderen Fokus auf die Einhaltung der Sanktionen richten.

Bei weiteren Fragen stehen Ihnen die Ansprechpartner der Ahlers & Vogel Rechtsanwälte hierbei gerne zur Seite.