Das elfte Paket der EU-Russland-Sanktionen
- 29. Juni 2023
- Veröffentlicht durch: Mutke Müller
- Kategorien: Außenhandelsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Schifffahrts- und Transportrecht
1. Das elfte EU-Sanktionspaket gegen Russland- weitere Änderungen des EU-Sanktionsrechts
Das elfte EU-Sanktionspaket gegen Russland steht in der Reihe zu vorangegangenen Sanktionspaketen und folgt ihnen in Zweck und Logik.
Beschlossen sind die Änderungen am 23. Juni 2023 und sind seit dem 24. Juni 2023 in Kraft getreten.
Im Vordergrund steht es weiterhin, die militärischen und technologischen Fähigkeiten russischer Kriegsführung zunehmend zu beschränken.
Hervorzuheben sind sowohl Erweiterungen handelsbezogener als auch personenbezogener Sanktionen, die zu Änderungen im Rahmen der jeweiligen Zuordnung unter den bestehenden EU-Verordnungen 833/2014 und 269/2014 geführt haben.
2. Handelsbezogene Sanktionen
Die Erkenntnisse, die aus der Beobachtung der militärischen Operationen gewonnen werden, fließen in die Gestaltung der Sanktionsvorschriften ein. Ein Beispiel hierfür ist die Beschränkung der Ausfuhr weiterer 15 technologischer Güter, die auf dem Gebiet der Ukraine gefunden wurden und vorher im Einsatz durch die russische Armee waren. Für hochwertige Technologiegüter und luftverkehrsbezogene Materialien ist ein Durchfuhrverbot flankierend geregelt worden.
Für Eisen- und Stahlerzeugnisse gibt es gesonderte Nachweispflichten für den Import. Bei Importen aus anderen Ländern muss nachgewiesen werden, dass die Vorproduktion der Waren nicht in Russland erfolgte.
Der Verhinderung von Produktionsverlagerungen außerhalb der EU dient ein Verbot des Verkaufs, der Lizenzierung, der Übertragung oder der Weitergabe von Rechten des geistigen Eigentums und von Geschäftsgeheimnissen, die im Zusammenhang mit solchen Waren verwendet werden, die Gegenstand der Sanktionsregelungen sind.
Ausfuhrverbote sind festgelegt worden für Luxusfahrzeuge, dies umfasst Neu- und Gebrauchtwagen ab einer bestimmten Motorgröße (> 1 900 cm³), ferner ist die Ausfuhr von Elektro- und Hybridfahrzeugen verboten.
Aufgehoben wurde das Verbot der Einfuhr von Kohleerzeugnissen gemäß des vormaligen Artikels 3j der EU-VO 833/2014.
Dagegen sind die Ausfuhrverbote gemäß Artikels 3k der EU-VO 833/2014 in weiterer Detailtiefe geregelt, die unbedingt zur Überprüfung anhand des KN-Codes bei Ausfuhrgeschäften zu beachten sind.
Ein besonderes Augenmerk ist im Rahmen des elften EU-Sanktionspakets auf Umgehungsverbote gelegt worden und die Regelungen sehen hierzu die Einbeziehung von Drittstaaten vor.
3. Vermeidung von Umgehungsgeschäften
Die Erkenntnisse hinsichtlich des Materials, das den militärischen Operationen Russlands dient, fließen nun ein in die erweiterte Listung von Organisationen außerhalb Russlands. Wirtschaftsbeteiligten ist daher zu raten, auch beim Wirtschaftsverkehr mit solchen Staaten, in denen diese Organisationen beheimatet sind, besondere Sorgfalt walten zu lassen, um konform mit den EU-Sanktionen zu handeln. Diese ursprünglich an der Verhinderung der Produktion iranischer Kampfdrohnen orientierten Maßnahmen umfassen nun Organisationen in Ländern, die in den Handelsbilanzen eine größere Rolle spielen, insbesondere China. Weitere Staaten sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Syrien, Armenien und Usbekistan. Die entsprechenden gelisteten Organisationen, weitere 87 an der Zahl im Wege des elften Sanktionspaketes, unterliegen strengeren Ausfuhrbeschränkungen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (dual-use) und fortgeschrittene Technologien.
Das elfte Sanktionspaket lässt erkennen, dass die Erkenntnisse über Umgehungsgeschäfte fortlaufend Auswirkung auf die rechtliche Gestaltung der EU haben sollen. Ausdrücklich ist die Einbeziehung von Drittländern ausformuliert. Dabei ist zu erkennen, dass zunächst diplomatischen Bemühungen seitens der EU, Umgehungsgeschäfte zu verhindern, Vorrang eingeräumt wird. Scheitern diese, ist eine Listung der Drittländer vorgesehen.
4. Schlaglicht auf Regelungen, die die maritime Wirtschaft betreffen
Der Eindämmung von Umgehungsgeschäften dient zunächst auch das neu gefasste Verbot des Zugangs zu EU-Häfen für Schiffe, die Transfers von Schiff zu Schiff durchführen und mutmaßlich gegen das russische Öleinfuhrverbot oder die Preisobergrenze der G7-Koalition verstoßen, diese Regelung ist in Artikel 3eb der EU-VO 833/2014 verankert. Das elfte Sanktionspaket benennt ausdrücklich die Zunahme betrügerischer Praktiken bei der Beförderung russischen Rohöl und russische Erdölerzeugnisse (russisches Öl). Angesichts der ausgeklügelten und weitreichenden Regelungen der EU ist dies erstaunlich, auf eine Einbeziehung der Versicherungswirtschaft hatten wir in unserem Beitrag zum sechsten Paket der EU-Russland-Sanktionen hingewiesen.
Was nun aber dazu qualifiziert, zum Verdachtsfall zu werden, ist nicht eindeutig geregelt. Die Regelungen sehen vor, dass dies dann der Fall sein soll, wenn die zuständigen Behörden vernünftigen Grund zur Annahme eines Verstoßes haben. Die Behauptung, dass diese Bestimmung klar sein soll, dürfte nicht leicht aufrechtzuerhalten sein. Den betroffenen Wirtschaftsbeteiligten ist zu raten, konsequent alle Herkunftsnachweise entlang der gesamten Lieferkette einzufordern und für mögliche Überprüfungen bereitzuhalten. Die EU-Sanktionen konkretisieren das Verbot des Zugangs zu EU-Häfen für solche Schiffe, die eine Meldung an die zuständigen Behörde nicht mindestens 48 Stunden im Voraus eines Transfers von Schiff zu Schiff (STS) innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eines Mitgliedstaats oder innerhalb von 12 Seemeilen von der Basislinie der Küste dieses Mitgliedstaats melden, Artikel 3eb Abs. 2 der EU-VO 833/2014. Ausnahmebestimmungen für Notfälle bestehen.
Einem Zugangsverbot zu EU-Häfen unterliegen ferner alle Schiffe unabhängig ihrer Flagge, die ihr automatisches Schiffsidentifizierungssystem (AIS) unter Verstoß gegen die SOLAS-Regel V/19 Absatz 2.4 beim Transport von russischem Öl, das dem Öleinfuhrverbot oder der Preisobergrenze der G7 unterliegt, manipulieren oder abschalten, Artikel 3ec der EU-VO 833/2014.
Dass die zuständigen Behörden vernünftigen Grund zur Annahme eines Verstoßes haben, ist auch hierbei ausreichendes Kriterium, um zum Verdachtsfall zu werden.
Grundlage der behördlichen Entscheidung sollte eine Risikoanalyse sein. Ein Informationsaustausch mit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und anderen Mitgliedstaaten der EU ist vorgesehen.
Zugangsverbote erstrecken sich auf Schiffe für Häfen und Ankerplätze innerhalb der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats der EU und den gesamten finnischen Meerbusen.
Hinsichtlich von Schiffsverkäufen für bestimmte bereits in Russland befindliche Schiffe sieht das elfte Sanktionspaket gemäß Artikel 4a der EU-VO 833/2014 bestimmte unter Genehmigungsvorbehalt stehende Erleichterungen vor.
5. Weitere Maßnahmen im Überblick
Das elfte Sanktionspaket sieht eine Ausweitung des Verbotes der Beförderung von Gütern mit in Russland zugelassenen Anhängern und Sattelanhängern im Gebiet der Union vor, auch wenn diese von außerhalb Russlands zugelassenen Lastkraftwagen gezogen werden. Dabei ist berücksichtigt, dass Umgehungen der bisher geltenden Regelungen erfolgten und diese zukünftig verhindert werden sollen.
Nicht unerwähnt soll hier ferner sein, dass das elfte Sanktionspaket weitere Restriktionen bezüglich von Russland kontrollierter Medien vorsieht.
Ferner ist die Liste der individuell erfassten Personen, deren Vermögenswerte eingefroren werden sollen, erneut erweitert worden.
6. Bewertung
Es handelt sich bei den EU-Sanktionen gegen Russland um robuste, ohne Präzedenz bestehende Regelungen von enormer Detailtiefe. Umgehungsrisiken fortlaufend zu minimieren ist begrüßenswert, die Kehrseite ist hierbei jedoch eine zunehmende Belastung unternehmerischer Compliance-Aufgaben. Angesichts der Detailtiefe der Regelungen ist für den Fall identifizierten Beratungsbedarfes an die Einholung von Rechtsrat zu denken, überblicksartige Veröffentlichungen können nicht die Beratung im Einzelfall ersetzen. Dies gilt auch für diesen Beitrag. Im Handel mit bestimmten Rohstoffen, deren Herkunft nicht leicht nachweisbar ist, sind nach wie vor Herausforderungen hinsichtlich der effektiven Umsetzung der Sanktionsregelungen erkennbar.
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