Team Bau- und Vergaberecht

Zugang von E-Mails im unternehmerischen GeschäftsverkehrBGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21

Der unternehmerische Geschäftsverkehr und insbesondere auch der Geschäftsverkehr der Bauwirtschaft werden mittlerweile ganz überwiegend digital geführt. Mit Hinblick auf die Wirksamkeit und die rechtlichen Folgen von Erklärungen, die mittels E-Mails versendet werden, finden aber trotzdem die althergebrachten Regelungen aus dem BGB Anwendung. Obgleich diese Regelungen freilich auf Willenserklärungen, die mündlich oder schriftlich erklärt werden, zugeschnitten sind, sind diese damit auch für Willenserklärungen anwendbar, die mittels E-Mails abgegeben werden. Mit der Frage, wann E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen sind, hat sich der BGH kürzlich befasst und hier weitere Weichen gestellt. Im Einzelnen:

Worum ging es?

Ein Auftraggeber (AG) beauftragte einen Auftragnehmer (AN) mit der Ausführung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten. Nach Fertigstellung der Arbeiten rechnete der AN seine Leistungen gegenüber dem AG in Höhe von 254.335 € netto ab. Die Schlussrechnungsprüfung des AG ergab einen Schlussbetrag in Höhe von 14.538 €, der in der Folge angewiesen wurde. Weiter übersandte der AG dem AN eine entsprechende Schlusszahlungserklärung. Der AN widersprach der Schlusszahlung und verlangte eine weitere Zahlung in Höhe von 14.347 €. In der Folge wurde bezüglich dieser weitergehenden Forderung korrespondiert und der AG bot an, dass er diese weitergehende Forderung noch zahlen würde, dann aber auch keine weiteren Forderungen mehr geltend gemacht werden sollen. Der Rechtsanwalt (RA) des AN antwortet mit E-Mail vom 14.12.2018, 09:19 Uhr, und teilte mit, dass sich die Forderung aus der Schlussrechnung auf eben diesen noch offenen Betrag belaufe und weitere Forderungen nicht erhoben werden würden, wenn eine Zahlung erfolge. In einer weiteren E-Mail vom 14.12.2018, nur etwas später, nämlich um 09:56 Uhr, erklärte der RA dann aber, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe des AN noch nicht erfolgt sei und dass daher die erste Mail, also die von um 09:19 Uhr, unberücksichtigt bleiben solle. Am 17.12.2018 überreichte der AN sodann dem AG eine Schlussrechnung über eine Restforderung in Höhe von 22.173 €. Wenige Tage später, am 21.12.2018, überweist der AG dann einen Betrag in Höhe von 14.347 €, also denjenigen Betrag, den der RA des AN genannt hatte, an den AN. Weitere Zahlungen erfolgten nicht. Der AN hat nun mittels einer Klage die Zahlung des aus seiner Sicht noch offenen Differenzbetrages in Höhe von 7.826 € geltend gemacht.

Wie entschied der BGH?

Die Klage des AN hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass der AN dem AG mit der E-Mail seines RA ein wirksames und rechtverbindliches Angebot auf Abschluss eines Vergleiches unterbreitet hatte, welches zum Gegenstand hatte, dass mit der Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 14.347 € weitere Forderungen des AN nicht geltend gemacht würden. Dieses Angebot war dabei auch bindend für den AN, da das Angebot nach der Entscheidung des BGH bereits zugegangen war, bevor den AG die zweite E-Mail des RA des AN erreichte, in der man möglicherweise einen Widerruf der Willenserklärung durch den AN erkennen könne.

Vor dem Hintergrund, dass nach der gesetzlichen Regelung des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB der Widerruf nur dann erfolgreich sein kann, wenn er vor und zumindest gleichzeitig mit der zu widerrufenden Willenserklärung bei dem Empfänger, vorliegend also dem AG, zugeht, war es von entscheidender Bedeutung, zu bestimmen, wann die erste E-Mail nun genau zugegangen ist. Diese Frage stellte sich dabei insbesondere vor dem engen zeitlichen Kontext, da die zweite E-Mail nur 37 Minuten später versendet wurde.

Die Frage, wann E-Mails zugehen, ist in der Rechtswissenschaft umstritten. Nach einer Ansicht gilt eine E-Mail bereits dann als zugegangen, wenn sie bei dem Empfänger in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist. Nach anderer Ansicht ist der Zugang einer E-Mail anzunehmen, wenn die E-Mail im Postfach eingegangen ist und zusätzlich mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf gerechnet werden kann. Obgleich der BGH im Rahmen dieses Urteils Abstand davon genommen hat, diese Frage endgültig zu entscheiden, hat er nun entschieden, dass jedenfalls im unternehmerischen Rechtsverkehr eine E-Mail dann als zugegangen gilt, wenn die E-Mail innerhalb der der üblichen Geschäftszeiten auf dem entsprechenden Server abrufbereit zur Verfügung gestellt wird. Dann gilt die E-Mail als derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es dabei nicht an.

Da die E-Mail erste E-Mail um 09:19 Uhr versendet wurde und auf dem Server abrufbereit zur Verfügung gestellt wurde sowie dass sich dies während der Geschäftszeiten des AG ereignete, war die E-Mail damit um 09:19 Uhr zugegangen. Der mit E-Mail um 09:56 Uhr erklärte Widerruf war damit verspätet. Mit der am 21.12.2018 bewirkten Zahlung wurde das Angebot auf Abschluss des Vergleiches sodann konkludent wirksam angenommen. Die Klage war daher unbegründet.

Praxistipp!

Wer in seiner täglichen Praxis häufiger mit baurechtlichen Streitigkeiten befasst ist, wird wissen, dass die Frage des Zugangs von Willenserklärungen und insbesondere auch die Beweisführung diesbezüglich, häufig ein konfliktträchtiges Thema zwischen den Parteien ist und unter Umständen sogar entscheidend für den Ausgang von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein kann. Obgleich die vorliegende Entscheidung nicht zum Gegenstand hat, dass zwischen den Parteien streitig war, dass die E-Mail überhaupt zugegangen war, hat die Entscheidung doch auch aus einer anderem Blickwinkel einen nicht zu vernachlässigbaren Inhalt für die tägliche Praxis. Dieser besteht darin, dass bei einmal entäußerten Willenserklärungen über E-Mail während der Geschäftszeiten nach der Rechtsprechung des BGH praktisch keine Möglichkeit mehr besteht, diese zu widerrufen. Anders als in dem Fall, in dem beispielsweise ein postalisches Schreiben schon in den Briefkasten eingelegt wurde, ist es im Rahmen von E-Mails praktisch nicht mehr möglich, rechtzeitig einen entsprechenden Widerruf der Erklärung in dem Briefkasten des Empfängers einzulegen oder ihm per Kurier zuzustellen. Das unüberlegte Versenden von E-Mails, insbesondere solche, die Angebote auf Abschluss eines Vergleiches enthalten, können also schnell unerwünschte Folgen haben, wenn der Erklärende im Anschluss der Auffassung sein sollte, dass das Angebot doch nicht so ganz seinen Interessen entspricht.

Daher also: Vorsicht bei dem Versand von E-Mails mit entsprechenden Willenserklärungen, da diese zumeist nicht widerrufbar sind!

Nur am Rande und abschließend zu diesem Beitrag sei erwähnt, dass es bedauerlicherweise dabei bleibt, dass die Rechtsprechung diesbezüglich doch sehr uneinheitlich und einzelfallabhängig ist. So hatte das OLG Hamm mit einem Beschluss vom 09.03.2022 – 4 W 119/20 – entschieden, dass für einen gesonderten Fall, nämlich, dass die Erklärung nicht direkt in dem E-Mail-Text wiedergegeben wird, sondern in einer der E-Mail beigefügten PDF-Datei enthalten ist, erst dann Zugang angenommen werden soll, wenn der Empfänger der E-Mail den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Begründet hatte der Senat die Entscheidung damit, dass es dem Empfänger nicht zumutbar sei, dass er über die entsprechende Software zum Öffnen der Dateien verfüge sowie das Sicherheitsrisiken wegen der Möglichkeit von Viren bestehen würden. Vor dem Hintergrund, dass dies zur Folge hätte, dass der rechtssichere Geschäftsverkehr via E-Mail erheblich eingeschränkt werden würde, was sicherlich nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein wird, ist davon auszugehen, dass es diesbezüglich abweichende obergerichtliche Rechtsprechung geben wird.

Es bleibt also spannend!

 

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