Arbeitsrecht

Überstundenabgeltung
Vorerst keine „Duldung“ von Überstunden ohne Kenntnis des Arbeitgebers

Das LAG Niedersachen hat mit Urteil vom 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20 die bundesweit für großes Aufsehen sorgende Entscheidung des ArbG Emden vom 09.11.2020 – 2 Ca 399/18 zur Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess nicht bestätigt.

Das ArbG Emden hatte aufgrund eines Urteils des EuGH vom 14.05.2019 – C- 55/18 an den bisherigen Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr festgehalten. Bisher war die Darlegungs- und Beweislast in einem Verfahren, in dem der Arbeitnehmer die Abgeltung von Überstunden verlangt, vom BAG weitestgehend geklärt: Unabhängig davon, ob Überstunden tatsächlich geleistet wurden, käme eine Abgeltung nur in Betracht, wenn diese vom Arbeitgeber geduldet, gebilligt oder angeordnet wurden. Auch eine Duldung setze stets eine arbeitgeberseitige positive Kenntnis über das Ableisten von Überstunden voraus.

Der EuGH traf in einem Urteil zum Thema Arbeitszeit und Gesundheitsschutz die Aussage, dass die europäischen Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssten, ein zugängliches und verlässliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen.

Hieraus folgerte das ArbG Emden auch eine Übertragbarkeit auf die vergütungsrechtliche Ebene. Die Kenntnis von Überstunden sei für eine „Duldung“ nicht mehr erforderlich, wenn sich der Arbeitgeber durch die Einsichtnahme in die zwingend zu errichtende Arbeitszeiterfassung hätte selbst Kenntnis verschaffen können. Aufgrund der arbeitgeberseitigen Überwachungspflicht sei von einer Kenntnis auszugehen.

Diese Auffassung ist bundesweit auf Kritik gestoßen und wurde in der Berufungsinstanz vom LAG Niedersachsen nicht geteilt. Aus dem Urteil des EuGH könne keine Aussage zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess zur Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden entnommen werden. Im Übrigen fiele die vergütungsrechtliche Ebene ohnehin nicht in den Kompetenzbereich des EuGH. Eine Überstundenvergütung könne der Kläger auf Grundlage seiner bisherigen Darlegungen nicht verlangen.

Diese Entscheidung des LAG Niedersachsen ist positiv zu bewerten, da sie die kurzweilig entstandenen Zweifel über einen grundlegenden Richtungswechsel der Rechtsprechung zunächst eine Absage erteilt. Tatsächlich sollen Arbeitszeiterfassungssysteme in erster Linie nur die Anwesenheit von Mitarbeitern dokumentieren. Eine automatische Duldung des Arbeitgebers ohne jede Kenntnis lässt sich rechtlich nicht überzeugend begründen.

Da das LAG Niedersachsen nun auch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hat, wird mit Spannung eine höchstrichterliche Entscheidung erwartet. Wir werden über den Ausgang des Verfahrens berichten und mögliche Folgen für die betriebliche Praxis aufzeigen.

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