Preisexplosion bei Baustoffen – finanzieller Ausgleich möglich?
- 25. November 2021
- Veröffentlicht durch: Ahlers & Vogel
- Kategorie: Bau- und Architektenrecht
Die Preise für Baumaterialien sind in den vergangenen Monaten explosionsartig gestiegen, so dass die damit verbundenen Kosten häufig durch die zuvor vereinbarte Vergütung nicht mehr gedeckt werden können. Besteht ein Anspruch auf Ausgleich durch den Auftraggeber?
Einleitung
Der massive Preisanstieg bei den Baustoffen ist auf viele Ursachen, so auf die allgemeine konjunkturelle Entwicklung in den USA und China, auf eine stetig steigende Nachfrage, erhöhte Rohstoffpreise und letztlich auch auf die coronabedingte weltweite Reduzierung der Produktionskapazitäten zurückzuführen. So hat sich beispielsweise der Erzeugerpreis für Bitumen auf Erdölbasis von Mai 2020 gegenüber Mai 2021 um 63,9% erhöht; beim Betonstabstahl ist der Erzeugerpreis in diesem Zeitraum um rund 45 % gestiegen (vgl. Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes vom 05.07.2021). Diese rasante Dynamik hat zur Folge, dass der Zeitraum zwischen der Abgabe eines ordnungsgemäß kalkulierten Angebotes und der Auftragserteilung als Startschuss für die verbindliche Bestellung benötigter Baumaterialien häufig so lang ist, dass wegen der zwischenzeitlichen Preissteigerungen schon vor Beginn der Bauarbeiten Verluste vorprogrammiert sind. Die ebenfalls auftretenden Lieferprobleme und die damit u.U. einhergehenden Überschreitungen vertraglich vereinbarter Termine seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ob und unter welchen Voraussetzungen die gestiegenen Materialkosten an die Auftraggeber durchgestellt werden können, soll nachfolgend skizziert werden.
Selbstkostenerstattung
Die Lösung könnte so einfach sein. Bei einem sog. Selbstkostenerstattungsvertrag erhält nämlich der Unternehmer als Vergütung für die erbrachte Bauleistung die ihm entstandenen und nachzuweisenden Kosten zuzüglich vereinbarter Zuschläge erstattet („cost plus fee“). Materialpreisschwankungen werden bei diesem Vertrag vollständig ausgeglichen und letztlich vom Auftraggeber getragen. Während in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A, Stand 2002, der Selbstkostenerstattungsvertrag bei Bauleistungen größeren Umfangs noch als Ausnahmetatbestand unter bestimmten Voraussetzungen möglich war (vgl. § 5 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A 2002), sieht das aktuelle Vergaberecht den Abschluss von Leistungsverträgen vor, bei denen die Vergütung auf Einheitspreisbasis oder als Pauschalsumme vor Ausführungsbeginn feststeht. Lediglich bei Bauleistungen geringen Umfangs, die überwiegend Lohnkosten verursachen, können diese Arbeiten nach Aufwand im Stundenlohn vergeben werden (vgl. § 4 EU VOB/A). Eine Regelung zum Selbstkostenerstattungsvertrag fehlt, weshalb dieser – jedenfalls bei öffentlichen Auftraggebern, die an die Regelungen der VOB/A gebunden sind – von vornherein nicht zur Anwendung kommt. Da dieser Vertragstyp nicht einmal mehr als Ausnahme in der aktuellen VOB/A vorgesehen ist, scheidet auch eine nachträgliche Vereinbarung beim Auftreten erheblicher Preissteigerungen jedenfalls bei öffentlichen Bauaufträgen von vornherein aus.
Stoffpreisgleitklausel
Mit der Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel wird das Risiko für Preisänderungen der in der Vereinbarung ausdrücklich genannten Stoffe regelmäßig auf beide Vertragsparteien verteilt, indem sowohl bei Schwankungen nach oben als auch nach unten eine Preisanpassung verlangt werden kann. Nur beispielhaft sei auf die im Formblatt 225 des Vergabe- und Vertragshandbuch des Bundes enthaltene Klausel nebst Erläuterungen verwiesen. Eine Preisanpassung findet hiernach erst bei Überschreitung der Bagatellgrenze statt, d.h. wenn die Mehr- oder Minderaufwendungen mehr als 2 v.H. der Abrechnungssumme der im Formblatt zuvor angegebenen Positionen betragen. Festgelegt ist weiter eine Selbstbeteiligung des Auftragnehmers von 10 v.H. der Mehr- bzw. Minderaufwendungen (dann als Recht zum Einbehalt). Grundlage der Berechnung sind je aufgeführter Leistungsposition die angegebenen und die daraus fortgeschriebenen Basiswerte unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Leistungsmengen.
Mit Erlass vom 21.05.2021 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die ihm nachgeordneten Behörden angewiesen, wie mit den schwankenden Stoffpreisen umgegangen werden soll. Hierbei hat das Ministerium danach differenziert, ob es sich um neue, also bevorstehende Vergabeverfahren, laufende Vergabeverfahren oder bereits durch Vertragsschluss abgeschlossene Verfahren handelt. Für die bevorstehenden Vergabeverfahren werden die nachgeordneten Vergabestellen angewiesen, die Voraussetzungen für die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln, also starke Preisschwankungen und ein damit einhergehendes besonders hohes Wagnis für die Bieter, besonders zu prüfen. Nach Prüfung und entsprechender Prognose soll eine Stoffpreisgleitklausel vereinbart werden.
Für derzeit laufende Vergabeverfahren, die ohne Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel begonnen worden sind, besteht die Möglichkeit der nachträglichen Einbeziehung. Selbst nach Angebotsöffnung könnte im Einzelfall eine Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe verbunden mit einer Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel bei neuer Angebotsabgabe in Betracht kommen. Zwar bindet der Erlass lediglich die dem Ministerium nachgeordneten und nicht sämtliche Vergabestellen bundesweit, der Erlass kann aber als Argumentationshilfe gegenüber solchen Vergabestellen dienen, die trotz objektiver Notwendigkeit der Einbeziehung von Stoffpreisgleitklauseln in ihren Vergabeverfahren hiervon keinen Gebrauch gemacht haben. Erforderlichenfalls sind diese Vergabestellen mit einer entsprechenden Bieterfrage hierauf aufmerksam, zu machen.
Zwar könnte grundsätzlich auch nach erfolgtem Vertragsschluss eine Stoffpreisgleitklausel später vereinbart werden, hiervon wird aber in dem Erlass kein Gebrauch gemacht. Vielmehr wird auf das etwaige Vorliegen gesetzlicher Regelungen zur Anpassung der Verträge verwiesen, z.B. auf § 58 Bundeshaushaltsordnung (BHO). Hiernach darf das zuständige Bundesministerium mit Einwilligung des Bundesministeriums für Finanzen Verträge zum Nachteil des Bundes (Zahlung von höheren Materialkosten) nur in besonders begründeten Ausnahmefällen (z.B. bei ansonsten drohender Insolvenz des Unternehmers mit zwangsläufigem Baustillstand) ändern. Allerdings handelt es sich bei § 58 BHO ohnehin nicht um eine Anspruchsgrundlage, auf die sich der einzelne Unternehmer stützen kann.
Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Als gesetzlich normierte Anspruchsgrundlage für die Anpassung eines bereits geschlossenen Vertrages ist § 313 BGB zu nennen. Hiernach kann bei schwerwiegender Veränderung von Umständen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, bei deren Kenntnis die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, eine Anpassung verlangt werden, wenn nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung den Parteien das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nach Absatz 2 steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen. Was im Gesetzestext als durchaus verheißungsvoll anmutet, bereitet in der praktischen Anwendung hingegen erhebliche Schwierigkeiten. Das Vorliegen einer Geschäftsgrundlage setzt nämlich grundsätzlich eine gemeinsame Vorstellung der Beteiligten voraus. So ist beispielsweise anerkannt, dass die Kalkulation eines Unternehmers, selbst wenn sie dem Besteller offengelegt wird, nicht Geschäftsgrundlage ist. Schließlich ist es allein Sache des Unternehmers, wie er den Preis für die beanspruchten Leistungen kalkuliert. Auch besteht für den Auftraggeber regelmäßig kein Anlass, die ihm nicht näher bekannten Kalkulationsgrundlagen in seinen Geschäftswillen aufzunehmen (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 26.06.2014, – 8 U 11/13 -; BGH, Urteil vom 28.02.2002, – I ZR 318/99 -). Zudem soll die Fehleinschätzung der künftigen Preisentwicklung der kalkulierten Materialkosten zu den typischen vom Unternehmer zu tragenden Risiken gehören (in diesem Sinne bereits ablehnend bei steigenden Stahlpreisen: OLG Hamburg, Urteil vom 28.1.2.2005, – 14 U 124/05 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.1.2008, – 23 U 48/08 -).
Ferner muss die eingetretene Änderung so schwerwiegend sein, dass ein Festhalten an dem vereinbarten Preis in Ansehung der erhöhten Materialkosten unzumutbar ist. Auch wenn es keine starre Grenze für die Überschreitung der Zumutbarkeit gibt, könnte in Anlehnung an § 2 Abs. 7 Satz 2 VOB/B, der auf § 313 BGB verweist, bei solchen Materialmehrkosten, die 20 v.H. der Gesamtvergütung überschreiten, eine Anpassung in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.08.2000, – 6 U 64/00 -). Ob diese Schwelle überschritten wird, hängt naturgemäß wesentlich von dem Anteil der Materialkosten an der vereinbarten Vergütung, also von den Umständen des Einzelfalls ab.
Zusammenfassung
Verlässlich kann eine Preisanpassung wegen Materialpreissteigerungen nur bei einer zuvor vereinbarten Stoffpreisgleitklausel beansprucht werden, allerdings unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung und bei Überschreitung der Bagatellgrenze. Fehlt in den Ausschreibungsunterlagen eines Vergabeverfahrens eine für notwendig erachtete Stoffpreisgleitklausel, ist die Vergabestelle um ergänzende Aufnahme zu bitten. Ohne vertragliche Regelung sind die Voraussetzungen der gesetzlichen Anspruchsgrundlage zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB, mit der eine Preisanpassung beansprucht werden könnte, nur sehr schwer und wohl erst ab einer Überschreitung der Materialmehrkosten von mehr als 20 v.H. der vereinbarten Gesamtvergütung zu erfüllen.
Der Originalartikel wurde in der Zeitschrift Straße und Autobahn Ausgabe 10/2021 veröffentlicht, welchen Sie hier einsehen können.
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