Das 14. Paket der EU-Russland-Sanktionen
- 8. Juli 2024
- Veröffentlicht durch: Mutke Müller
- Kategorien: Außenhandelsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Schifffahrts- und Transportrecht
- Das EU-Sanktionspaket gegen Russland- weitere Änderungen des EU-Sanktionsrechts
Die Mitgliedstaaten der EU haben sich am 24.06.2024 erneut auf ein umfassendes Maßnahmenpaket von Sanktionen in Beantwortung der russischen Aggression und des von Russland in der Ukraine geführten Krieges verständigt. Seit dem 25.06.2024 sind diese Regelungen vollständig in Kraft getreten und damit erneut Erweiterungen handelsbezogener als auch personenbezogener Sanktionen, die zu Änderungen im Rahmen der jeweiligen Zuordnung unter den bestehenden EU-Verordnungen 833/2014 und 269/2014 geführt haben.
- Personenbezogene Sanktionen
Weitere 69 Einzelpersonen und 47 Organisationen wurden dem Anhang I der EU-Verordnung 269/2014 zugefügt, am 28. Juni 2024 wurden noch zwei weitere Personen und vier Organisationen gelistet, mehr als 2.200 Einträge umfasst diese Liste mittlerweile.
- Güterbezogenen und sektorale Sanktionen
Erneut haben die EU-Mitgliedstaaten die Listen der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen erweitert. Anhang VII der EU-Verordnung 833/2014 wurde um bestimmte Werkzeugmaschinen und geländegängige Fahrzeuge erweitert, diese fallen unter das Ausfuhrverbot des Art. 2a VO 833/2014. Schwerpunkt bildet damit erneut die Zielrichtung, militärische Operationsfähigkeiten Russlands zu schwächen. Dazu dient es auch, dass sich die EU-Mitgliedstaaten auf Mechanismen verständigt haben, Unternehmen, deren Güter in Waffensystemen oder sonstigem auf dem Schlachtfeld gefundenen Gütern, insbesondere technischem Gerät, besondere Einhaltung von Sorgfaltspflichten aufzuerlegen. Damit soll die Wiederholung insbesondere von Umgehungsgeschäften vermieden werden.
Die Eindämmung von Umgehungsgeschäften spielt auch bei diesem Sanktionspaket der EU eine bedeutende Rolle.
Dabei wird nicht nur die Tätigkeit von EU Wirtschaftsakteuren in der EU von den Regelungen erfasst, sondern auch die deren Töchterunternehmen im Ausland. Der Maßstab, der hierbei angesetzt wird, ist gegenüber dem Maßstab an Handlungen auf dem Gebiet der EU abgeschwächt und verlangt, dass die EU Wirtschaftsakteure ihr bestes Bemühen zeigen müssen, um nicht Gefahr zu laufen wegen Sanktionsverstößen in das Visier der ermittelnden Behörden zu geraten.
Dieser Maßstab hat vielerlei Diskussion im Vorfeld der Bekanntmachung des 14. EU-Sanktionspakets ausgelöst.
Die Abschwächung des Maßstabes für im Ausland ansässige Tochterunternehmen wird insbesondere dem Einfluss der deutschen Exportwirtschaft zugerechnet dabei solche Unternehmen, die im Ausland ansässige Tochterunternehmen haben. Festzuhalten bleibt aber, dass auch der weniger harte Maßstab nicht zu einem Freifahrtschein für die Unternehmen führt. Im Einzelfall wird es nachzuweisen sein welche Maßnahmen ein Unternehmen ergriffen hat, um zu verhindern, dass sanktionswidrige Geschäfte durch im Ausland ansässige Tochterunternehmen abgewickelt werden.
Um den Nachweis führen zu können bei einer gegen ein Unternehmen gerichteten Untersuchungen wegen Verletzung des Art. 8a der EU-Verordnung 833/2014 empfiehlt es sich für ein Unternehmen, alle entsprechenden Compliance Maßnahmen sorgfältig zu dokumentieren und soweit erforderlich das interne Compliance Programm (“ICP”) neu zu strukturieren. Keine vorsorglichen Maßnahmen zu ergreifen, wird sicherlich nicht den Maßstab erfüllen, ein Bemühen nach “besten Kräften” nachweisen zu können.
Dennoch ist diese Regelung ein Minus, denn diese bereits als „Best-Effort“-Klausel benannte Regelung bleibt hinter einer ursprünglich konzipierten Ausweitung der „No-Russia“-Klausel des Art. 12g der EU-Verordnung 833/2014 zurück. Die bisherigen Erfahrungen mit einer nahezu überbauenden Bürokratie die sich durch diese Klausel für die Unternehmen als neue Realität darstellt und die oft kritisierte mangelnde Effektivität dieser Klausel mögen bei dieser Kompromissfindung eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Diese Regelung des Art. 8 a manifestiert deutlich, dass die EU-Sanktionen sekundäre Wirkung beanspruchen. Ein Anspruch der vor dem Hintergrund langjähriger Kritik gegenüber einer derartigen Vorgehensweise der Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen von Sanktionen, die sich gegen Kuba oder den Iran richteten, bemerkenswert ist.
In einer besonderen Zwickmühle sind dabei Unternehmen, die noch in Russland ansässige Tochterunternehmen steuern. Zum einen wird durch russisches Recht eine Missachtung des EU Sanktionsrechts gefordert, zum anderen bestehen nun Maßstäbe für die Einhaltung von Sanktionen auch durch Tochterunternehmen zu sorgen.
Auch die Überlegungen der “No-Russia”-Klausel sind dem 14. EU-Sanktionspaket nicht fern. Sie finden ihren Niederschlag in Art. 12ga Abs. 1 der EU-Verordnung 833/2014 in Bezug auf die Nutzung von Rechten geistigen Eigentums, Geschäftsgeheimnissen und Informationen. Auch dies hat Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung und das ICP. Geschäftspartnern aus Drittländern ist es ab dem 26. Dezember 2024 zu untersagen, derartige Rechte, Geschäftsgeheimnisse oder Informationen zum Vorteil russischer Interessen unmittelbar oder mittelbar zur Verfügung zu stellen. Hierzu findet sich eine alte Vertragsregelung, Verträge, die vor dem 25. Juni 2024 geschlossen wurden und bis zum 26. Juni 2025 erfüllt werden, sind hiervon ausgenommen. Für viele Unternehmen besteht daher ein unmittelbarer Handlungsbedarf für eine unternehmensweite Umsetzung dieser Bestimmung zu sorgen. Würdigt man, dass eine Ausfuhr solcher Informationen regelmäßig durch Datenaustausch oder auch bereits durch Telefonate erfolgen kann, so ist der Anwendungsbereich dieser Regelung sehr weit. Es empfiehlt sich daher dringend, den Neuabschluss von Verträgen durch mit den Regelungen des Sanktionsrechts vertrauten Personen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens prüfen zu lassen. Wichtig dabei ist es zu betonen, dass diese Regelung nicht nur Unternehmen und insbesondere Technologie intensive Unternehmen mit direktem Bezug zu Russland oder Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion betrifft, sondern alle in der EU ansässigen Wirtschaftsakteure und ihre ausländischen Tochterunternehmen.
Die Funde westlicher Technologiegüter auf den Schlachtfeldern in der Ukraine haben zu einer neuen Anforderung gegenüber allen solchen Unternehmen geführt, die kriegswichtige Güter exportieren. Sie müssen ab dem 26. Dezember 2024 Risikoermittlungen und Risikobewertungen hinsichtlich einer potenziellen Ausfuhr nach Russland bzw. der Verwendung dieser Güter in Russland vornehmen (Art. 12gb Abs. 1 lit. a der EU-Verordnung 833/2014). Auf dieser Grundlage müssen sie geeignete Maßnahmen zur Risikominderung und zum Risikomanagement ergreifen (Art. 12gb Abs. 1 lit. b der EU-Verordnung 833/2014). Die Risikobewertung ist zu dokumentieren und laufend auf dem neuesten Stand zu halten. Von diesem Unternehmen wird insofern ein ständiges und wachsames geopolitische Bewusstsein gefordert, das zudem im laufenden Geschäftsbetrieb ständig umzusetzen ist. Für die Compliance Verantwortlichen in solchen Unternehmen stellen sich damit besondere Herausforderung, ohne Berücksichtigung geopolitische Gegebenheiten ist es nur schwer vorstellbar, dass ein solches Unternehmen sanktionskonform seine Geschäfte durchführen kann. Die zunehmenden Anforderungen an die Erfüllung von Compliance Aufgaben ist dabei auch geeignet, möglicherweise Konsolidierungen in diesem Geschäftsumfeld voranzutreiben.
- Verschärfungen der Sanktionen im Energie- und Transportsektor
Neben der Einschränkung militärischer Operationsfähigkeit es ist den Mitgliedstaaten der EU mit den Sanktionspaket auch ein fortwährendes Anliegen, die finanziellen Möglichkeiten Russlands einzugrenzen, die dazu beitragen, dass die Kampfhandlungen fortgeführt werden können.
Dazu zählt das nun geltende Verbot des Umladens von russischem LNG an europäischen Häfen für den Weitertransport in Drittländer sowie die Untersagung von Investitionen in russische LNG-Projekte (Art. 3a bzw. 3r der EU-Verordnung 833/2014)). In unseren vorherigen Beiträgen sind wir schon ausführlich auf weitere Rohstoffmärkte wie den Handel mit Rohöl und das dabei bestehende Preis-Cap (siehe unseren früheren Beitrag zum 9. EU-Sanktionspaket) oder auch den Diamantenhandel (siehe unseren früheren Beitrag zum 12. EU-Sanktionspaket) eingegangen.
Dass es sich bei LNG um einen der wichtigsten Rohstoffe für Russland überhaupt handelt, ist seit langem klar. Einige Häfen, wie beispielsweise Zeebrügge, sind von diesem Verbot wirtschaftlich erheblich betroffen. Angesichts der Bedeutung von LNG als eine der größten Einnahmequellen aus Rohstoffhandel für Russland erschien eine Regelung hierzu jedoch überfällig gewesen zu sein.
Ferner wurde ein Verbot der Zugangsgewährung zu europäischen Häfen in Bezug auf gelistete Schiffe eingeführt (Art. 3s Abs. 1 der EU-Verordnung 833/2014) i.V.m. Anh. XLII). 27 Schiffe sind bereits gelistet unter Annex XLII, angesichts der enorm wachsenden Schattenflotte (auch hierzu verweisen wir auf unseren früheren Beitrag zum 12. EU-Sanktionspaket), ist davon auszugehen, dass dieser Annex schnell wachsen wird.
Der Vollständigkeit halber sei für den Transportsektor darauf hingewiesen, dass die bestehenden Start-, Lande- und Überflugverbote für Luftfahrtzeuge auf Charterflüge ausgeweitet worden sind (Art. 3d Abs. 1 der EU-Verordnung 833/2014). Das Verbot für russische Kraftfahrtunternehmen, Güter im Gebiet der Union zu befördern, ist auf alle EU-Unternehmen ausgeweitet worden, die zu mindestens einem Viertel in russischem Eigentum stehen (Art. 3l Abs. 1 der EU-Verordnung 833/2014).
- Verschärfung des Umgehungsverbot
Wie schon vorherige Sanktionspakete ist es auch dem 14. Sanktionspaket ein besonderes Anliegen, auf festgestellte Umgehung der Sanktionen zu reagieren. Dabei beinhaltet das 14. Sanktionspaket eine wesentliche Verschärfung der Verbote der Sanktionsumgehung gemäß Art. 9 der EU-Verordnungen 269/2014 und 833/2014.wurde bisher die wissentliche und vorsätzliche Beteiligung an Umgehungsgeschäften untersagt, so genügt mittlerweile bereits die billigende Inkaufnahme. Kurz gesagt verbindet sich damit für alle EU Wirtschaftsakteure die Maßgabe hinzuschauen, ein wegschauen kann fatale Folgen für ein Unternehmen und die handelnden oder gerade nicht handelnden Akteure mit sich bringen.
- „No Claim“-Regelung
Der neue Art. 11a der EU-Verordnungen 269/2014 und 833/2014 regelt einen eigenständigen Schadensersatzanspruch (inkl. Rechtsverfolgungskosten) für EU-Unternehmen, wenn gegen EU-Unternehmen in einem Drittland wegen Einhaltung der EU-Sanktionen Ansprüche geltend gemacht wurden und die EU-Unternehmen keinen effektiven Rechtsschutz in diesen Drittstaaten haben. In diesem Fall können sie auf Abwehr solcher Ansprüche im Drittland gerichtete Schadensersatzansprüche vor Gerichten der EU-Mitgliedstaaten geltend machen.
Für EU-Unternehmen, die Schaden erleiden durch die in Russland von der russischen Regierung angeordneten Zwangsverwaltung, ist ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 11b der EU-Verordnung 833/2014 vorgesehen, der sich gegen die Unternehmen oder diejenigen richtet, die von der Zwangsverwaltung profitieren.
Inwieweit diese Regelung zu durchsetzbaren Ansprüchen führen kann, wird im Einzelfall zu prüfen sein und hängt sicherlich damit zusammen, ob und wo Vermögen des Kreises der Anspruchsgegner außerhalb Russlands vorhanden ist.
- Finanzsektor
Auf den Ausschluss vom Zahlungsverkehr, Art. 5h der EU-Verordnung 833/2014 hatte die Zentralbank Russlands reagiert, indem sie ein System für Finanzmitteilungen „SPFS“ kreierte.
Dessen Nutzung ist EU-Unternehmen, die außerhalb Russlands tätig sind, untersagt. Sich an Transaktionen mit Personen und Einrichtungen zu beteiligen, die das SPFS oder ähnliche Systeme nutzen, ist auch untersagt (Art. 5ac Abs. 2 der EU-Verordnung 833/2014). Auf diese Weise soll die finanzielle Widerstandsfähigkeit Russlands gemindert und die Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland verhindert werden. Allerdings bestehen Ausnahmen, etwa für unbedingt erforderliche Transaktionen für den Kauf oder die Beförderung bestimmter Ressourcen. Ein Transaktionsverbot verbindet sich auch mit dem neuen Art. 5ad in Bezug auf Kredit, Finanz oder Kryptowertinstitute, die an Transaktionen hinsichtlich bestimmter Ausfuhrbeschränkungen unterliegender Güter beteiligt sind, diese flankierende Maßnahme ist als vorbereitende Maßnahme zu verstehen, denn sie bezieht sich auf solche Unternehmen, die in Anhang XLV der EU-Verordnung 830/2014 aufgeführt werden. Die Beachtung der Verbotsnormen wird daher auf eine weitere Geschäftsebene auf der Finanzierungsebene übertragen, ein Mechanismus der unter dem Stichwort “secondary sanctions” bekannt geworden ist bei Sanktionsmaßnahmen, die die Vereinigten Staaten von Amerika konzipierten. Die Maßnahmen intensivieren die Regelungsgehalte der Verbote, gleichzeitig ist für den Finanzsektor eine besondere Vorsicht bei Finanzierungsgeschäften geboten. Durch das weitgehende Verbot auch mittelbarer Zurverfügungstellung von wirtschaftlichen Ressourcen und mittelbarer Sanktionsverstöße kann der neue Regelungsgehalt dieser Bestimmung als begrenzt, sicherlich aber klarstellend, angesehen werden.
Im Bereich der Finanzwirtschaft ist es erwähnenswert, dass bereits die EU-Verordnung 2024/1469 des Rates vom 21. Mai 2024 eine unter Völkerrechtlern diskutierte Änderung des Art. 5a der EU-Verordnung 833/2014 geschaffen hat. Die entscheidende Frage war hierbei, inwieweit der Eigentumsschutz im Rahmen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der EU Grundrechte Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention eingefrorene Vermögenswerte schützt. Ein Schutz von Wertzuwächsen, die entstehen, nachdem die Vermögenswerte eingefroren wurden, wird dabei nach überwiegender Meinung nicht als vom Schutzzweck der Eigentumsrechte umfasst angesehen. Damit ist es möglich, Zinsen, die bei Vermögenswerten entstehen, die auf Grundlage der EU Russland- Sanktionen eingefroren wurden, beispielsweise zum Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.
- Bewertung
Es handelt sich bei den EU-Sanktionen gegen Russland um robuste, ohne Präzedenz bestehende Regelungen von enormer Detailtiefe. Die Maßnahmen veranlassen die russische Regierung zu Maßnahmen, die Sanktionen zu umgehen, so dass es ständiger Beobachtung und Fortentwicklung seitens der Mitgliedstaaten der EU bedarf. Ziel der Sanktionen ist es, den russischen Staat und verbündete Staaten wie Weißrussland sowie die einzelnen von den Sanktionen umfassten Wirtschaftszweige und Personen zu treffen. Dieses Ziel sollte bei der Durchsetzung der Sanktionsmaßnahmen nicht aus dem Blickfeld geraten. Mit den Sanktionsregelungen verbinden sich weitreichende und komplexe Compliance-Aufgaben. Effektivitätssteigerung und Schließen bestimmter Regelungslücken hinsichtlich der Sanktionsumgehung sind als positive Errungenschaften des 14. Sanktionspaket hervorzuheben. In vielen Bereichen geht dies mit erheblicher Ausdehnung bürokratischer Anforderungen einher, zu denken ist hierbei insbesondere an die gebotene Vorsicht bei Übertragung von Technologien auf Dritte und die Anforderungen der „No Russia“- Klausel. Damit verbindet sich für eine Vielzahl von EU Wirtschaftsakteuren unmittelbarer Handlungsbedarf.
Angesichts der Detailtiefe der Regelungen ist für den Fall identifizierten Beratungsbedarfes an die Einholung von Rechtsrat zu denken, überblicksartige Veröffentlichungen können nicht die Beratung im Einzelfall ersetzen. Dies gilt auch für diesen Beitrag.
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