Arbeitsrecht

BAG klärt Frage in der Diakonie
Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung auch im Anwendungsbereich der AVR Diakonie Deutschland möglich

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.04.2021 (2. Senat, 2 AZR 357/20) wichtige Fragen im Bereich der betriebsbedingten Kündigung für diakonische Unternehmen geklärt, die die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland anwenden (AVR.DD, im weiteren „AVR“).

Denn ähnlich wie im öffentlichen Dienst, in denen früher der BAT und heute der TVöD in seinen verschiedenen Fassungen zur Anwendung kommt, sehen auch die AVR vor, dass nach Ablauf einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und Vollendung des 40. Lebensjahres eine ordentliche Kündigung durch den Dienstgeber ausgeschlossen ist. Solchen Mitarbeitern kann dann nur noch durch eine außerordentliche Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB gekündigt werden. Zudem wird auf § 31 AVR verwiesen, der eine „fristlose“ Kündigung jedoch nur aus Gründen in der Person oder dem Verhalten des Beschäftigten vorsieht.

Bis dato war unklar, ob diese Regelungen der AVR eine betriebsbedingte (Änderungs-) Kündigung mit Auslauffrist zulassen oder ob eine betriebsbedingte Kündigung aufgrund der Gestaltung der AVR vollständig ausgeschlossen ist. So argumentierte nämlich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit und verwies auf eine aus seiner Sicht ähnliche Gestaltung in § 55 BAT für den öffentlichen Dienst. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung sei so stark, dass von einer beamtenähnlichen Stellung ausgegangen werden müsse und der Arbeitgeber daher nur in ganz wenigen Ausnahmefällen kündigen könne, wenn nämlich selbst eine Weiterbeschäftigung in anderen Dienststellen/Unternehmen (bei einem anderen Arbeitgeber) nicht mehr möglich sei. Dass diese Fälle kaum in der Praxis vorkommen dürften, liegt auf der Hand.

Dem erteilte das BAG nun aber eine Absage und stellte klar, dass die AVR ein solches hohes Schutzniveau nicht vorsehen. Insbesondere ergebe sich aus den AVR nicht die Pflicht des Dienstgebers, den betroffenen Arbeitnehmer bei anderen Arbeitgebern unterzubringen zu versuchen. Dies könne allenfalls in einem Einzelfall ein Argument sein, wenn das Arbeitsverhältnis eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers vorsehe. Aus den AVR folge dies direkt jedoch nicht.

Die Entscheidung ist auch über diese nun geklärte Frage hinaus von großem Interesse, da sie auch noch weitere verfahrenstechnische Dinge klärt bzw. klarstellt. So weist das BAG darauf hin, dass im Unterschied zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung aufgrund der Notwendigkeit des Vorliegens eines wichtigen Grundes der Dienstgeber im Prozess gehalten ist, von sich aus darzulegen, dass es keine Beschäftigungsmöglichkeit auf einer anderen gleichwertigen Position gegeben habe und daher die (Änderungs-) Kündigung zwingend geboten war. Er kann sich also nicht darauf zurückziehen zu behaupten, es gebe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, und dann den hierauf gerichteten weiteren Vortrag des Klägers abzuwarten.

Wichtig ist auch, dass das Gericht darauf hinweist, dass die Mitarbeitervertretung nach § 38 MVG wie bei einer ordentlichen Kündigung zu beteiligen ist (obwohl es phänotypisch um eine außerordentliche, „fristlose“ Kündigung geht). Das lag zwar durchaus nahe, war bislang aber in der Rechtsprechung ebenfalls nicht hinreichend geklärt. Zudem wies das Gericht darauf hin, dass die Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach dem MVG vom Konsensprinzip geprägt sei und hier daher die Rechtsprechung aus dem Bereich des Betriebsverfassungsrechts zur sogenannten Billigungsfiktion vor Fristablauf nicht anwendbar sei. Damit sind die Fälle gemeint, in denen der Betriebsrat bereits vor Ablauf der Anhörungsfrist zu erkennen gibt, abschließend zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers Stellung genommen zu haben und die Kündigung dann vor Ablauf der Frist ausgesprochen wird. Das soll es nach Auffassung des BAG im Bereich der AVR/des MVG nicht geben. Hier ist in jedem Fall eine Erklärung der MAV notwendig, sofern sie nicht durch Ablauf der Zweiwochenfrist fingiert wird oder kirchengerichtlich ersetzt wurde.

Eine überaus wichtige Entscheidung des BAG für alle diakonischen Arbeitgeber, die positiv zu bewerten ist, da sie aus unserer Sicht zutreffend die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung auch bei bereits ordentlich unkündbaren Beschäftigten bestätigt.

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