Bau-und-Architektenrecht

Aktuelle Entwicklungen und Entscheidungen am Bau

In Deutschland gelten strenge Vorschriften für den Gebäudebau, die oft als Hürden für Innovation und Effizienz wahrgenommen werden. Mit dem Referentenentwurf für das „Entwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus“ (kurz „Gebäudetyp-E-Gesetz“) soll ein neuer rechtlicher Rahmen geschaffen werden, um technischen Fortschritt zu fördern und Baukosten zu senken. Doch bringt dieser Entwurf tatsächlich die erhoffte Entlastung, oder schafft er neue rechtliche Unsicherheiten? In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die wesentlichen Neuerungen und Herausforderungen des Entwurfs. Unser Fokus liegt dabei hier auf den zivilrechtlichen Regelungen, die der Gesetzgeber bereits zum Beginn des Jahres 2025 modifizieren möchte.

Problemstellung: Überregulierung im Bauwesen

Die Ausgangslage für den Gesetzesentwurf sieht wie folgt aus: Das Bauwesen in Deutschland wird oft als überreguliert wahrgenommen. Ein Kernproblem sehen viele dabei in den nicht immer im Vorhinein trennscharf abgrenzbaren „anerkannten Regeln der Technik“ (a.R.d.T.), die bei Bauprojekten gleichwohl eine zentrale Rolle spielen. Abweichungen von diesen anerkannten Regeln der Technik im Einzelfall zu vereinbaren, stellt sich für die Baubeteiligten häufig als Herausforderung dar. Denn hierzu muss der Auftragnehmer nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung den Auftraggeber insbesondere auf die mit der Nichteinhaltung verbundenen Konsequenzen und Risiken hinweisen, es sei denn, diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich aus den Umständen (BGH, VII ZR 65/14). Entsprechende Vereinbarungen ziehen daher in der Praxis einen erhöhten Regelungsbedarf nach sich und bergen zugleich Rechtsunsicherheiten in Bezug auf ihre Wirksamkeit.

Die wichtigsten Neuerungen des Gesetzesentwurfs

Das sog.„Gebäudetyp-E-Gesetz“ zielt darauf ab, durch die Normierung von Vermutungsregelungen und Erleichterungen bei von den a.R.d.T. abweichenden Vereinbarungen den Bausektor zu entlasten. Der Referentenentwurf sieht mehrere zivilrechtliche Anpassungen vor, mit denen die Realisierung von Bauvorhaben einfacher und rechtssicherer gelingen soll.

  1. Kodifizierung der anerkannten Regeln der Technik

(§ 650a III BGB n.F.)

Eine der wesentlichen Änderungen soll darin bestehen, dass für bestimmte bautechnische Normungen eine widerlegbare Vermutungsregel in § 650a BGB implementiert wird. Dabei will der Gesetzgeber differenzieren zwischen bautechnischen Normungen, die „sicherheitstechnische Festlegungen enthalten“ auf der einen Seite und solchen Normungen, die „reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale“ abbilden auf der anderen Seite. Lediglich der ersten Gruppe bautechnischer Normen soll eine Vermutungswirkung dahingehend zukommen, dass es sich insoweit um allgemein anerkannte Regeln der Technik handelt.

Die Frage, welche bautechnischen Normen letztlich erfasst werden sollen, legt der Referentenentwurf gleichwohl nicht fest, was in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen könnte. Auch die Abgrenzung der beiden vorgenannten Gruppen bautechnischer Normen wird sich ohne weitere Konkretisierung durch Gesetzgeber oder Rechtsprechung als Herausforderung für die Praxis darstellen.

  1. Einführung von Gebäudebauverträgen (§ 650o BGB n.F.)

Um den Unternehmern die Abweichung von a.R.d.T zu erleichtern, sieht der Referentenentwurf ferner die Einführung eines neuen Vertragstyps vor. Im Rahmen des sogenannten „Gebäudebauvertrages“ soll es allein „fachkundigen“ Unternehmern ermöglicht werden, beim Bau von „Gebäuden“ unter erleichterten Bedingungen von den a.R.d.T abweichende Beschaffenheitsvereinbarungen zu treffen.

Dabei ist schon der Anwendungsbereich dieses neuen Vertragstyps zumindest nach dem Stand des Referentenentwurfes nicht klar abgrenzbar.

Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich in Abgrenzung zum allgemeinen Bauvertragsrecht nicht auf sämtliche Bauwerke, sondern beschränkt sich auf „Gebäude“ und die dazu gehörenden Außenanlagen oder Teile davon. Leitungen, Straßen und andere nicht zum Betreten durch Menschen bestimmte Objekte die nicht geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen, sind also nicht erfasst.

Der persönliche Anwendungsbereich wirft aktuell insbesondere aufgrund der Beschränkung auf „fachkundige“ Unternehmer ebenfalls Fragen auf. Insofern geht aus der Begründung des Referentenentwurfs hervor, dass nur Unternehmer erfasst sein sollen, die aufgrund einer technischen Ausbildung über Kenntnisse zu den anerkannten Regeln der Technik verfügen. Welche genauen Anforderungen damit vorausgesetzt sind, wird daraus allerdings nicht hinreichend deutlich. Auch insofern bedarf es also einer Konkretisierung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens oder spätestens durch die Rechtsprechung.

  1. Erleichterung bei Beschaffenheitsvereinbarungen.

Die erste vom Gesetzgeber vorgesehene Erleichterung betrifft die Eingehung von Beschaffenheitsvereinbarungen. Unter fachkundigen Unternehmern soll es im Rahmen des Gebäudebauvertrages zukünftig möglich sein, eine Abweichung von den a.R.d.T zu vereinbaren, „ohne dass der Unternehmer den Besteller über die mit dieser Abweichung verbundenen Risiken und Konsequenzen aufklären muss“.

Das bedeutet, der Unternehmer muss den Besteller nicht mehr über alle relevanten Eventualitäten aufklären, die bei der vereinbarten Abweichung eintreten können. Dass eine Abweichung von den a.R.d.T. erfolgen soll, müssen die Parteien allerdings grds. nach wie vor ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten vereinbaren. Zur rechtssicheren Gestaltung empfiehlt es sich daher nach wie vor, zumindest in Textform festzuhalten, hinsichtlich welcher Merkmale der Bauleistung (1) von welchen anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden soll (2) und welche Anforderungen stattdessen geschuldet sein sollen (3). Lediglich über die daraus resultierenden Risiken ist nach der geplanten Neuregelung ausdrücklich keine Belehrung mehr erforderlich.

  1. Modifizierter Mangelbegriff (§ 650o III BGB n.F.)

Eine weitere wesentliche Neuerung betrifft den Mangelbegriff. Auch hierzu sieht der Referentenentwurf eine Spezialregelung vor, deren Anwendungsbereich sich allein auf den neuen Vertragstyp der „Gebäudebauverträge“ beschränken soll. Der Mangelbegriff im allgemeinen Werkvertragsrecht sowie im Bauvertragsrecht bleibt also unverändert. Auch gilt die nachstehende Modifikation des Mangelbegriffs nur, sofern die Parteien vor der Ausführung keine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben.

Sollte die Ausführung der Bauleistung in einem solchen Fall von den a.R.d.T abweichen, liegt nach der im Referentenentwurf vorgesehenen Neuregelung des § 650o III BGB dennoch kein Mangel vor, wenn die folgenden zwei Voraussetzungen erfüllt sind.

Zum einen muss der Unternehmer dem Besteller bereits vor der Ausführung der Bauleistung angezeigt haben, dass eine von den a.R.d.T. abweichende Leistung zur Ausführung gelangen soll. Wobei der Besteller nach dieser Anzeige der Abweichung nicht unverzüglich widersprochen haben darf.

Zum anderen muss die tatsächlich ausgeführte Bauleistung trotz der Abweichung von den a.R.d.T hinsichtlich der „Sicherheit und Eignung des Gebäudes“ für die vertragsgemäße oder sonst gewöhnliche Verwendung dauerhaft eine „gleichwertige Ausführung“ gewährleisten.

Diese Voraussetzungen bringen dabei schon aufgrund der zahlreichen neuen und gesetzlich nicht näher bestimmten Rechtsbegriffe einige Unwägbarkeiten für die Praxis mit sich. Beispielsweise wirft die erste Voraussetzung insbesondere die Frage auf, wie viel Zeit sich der Besteller für seinen Widerspruch lassen darf – insbesondere ob die Einschaltung eines Planers vertretbar ist. Welche Anforderungen an eine „gleichwertige Ausführung“ zu stellen sind, erscheint ebenfalls klärungs- bzw. regelungsbedürftig. Erkennbar ist lediglich, dass sich der Gesetzgeber mit den Merkmalen „Sicherheit und Eignung“ nur auf ganz bestimmte Aspekte der Beschaffenheit der Bauleistung konzentrieren möchte, während andere denkbare Beschaffenheitsmerkmale, wie etwa Aspekte der Ästhetik, bei Abweichungen von den a.R.d.T. unbeachtlich sein sollen. Die Frage, in welche dieser rechtlichen Kategorien einzelne technische Aspekte der Bauausführung schlussendlich fallen, lässt der Referentenentwurf gleichwohl offen. Insofern ist das Feld also eröffnet für eine Konkretisierung durch Rechtsprechung, praktische Vertragsgestaltung und die Einschätzungen von Sachverständigen.

  1. Bewertung und Fazit

Trotz aller Kritik bringt der Referentenentwurf Fortschritte mit sich. Das teilweise Entfallen von Aufklärungspflichten zwischen Unternehmern ist positiv zu bewerten. Dennoch bleiben zahlreiche Fragen offen. Ein zentrales Problem sind die diversen unbestimmten Rechtsbegriffe, die durch den Entwurf eingeführt werden sollen. Diese würden in der Praxis zu Unsicherheiten führen und damit einen erhöhten Beratungs- und Regelungsbedarf schaffen.

Vor allem aber stellt sich die Frage, wie sich die im Rahmen eines „Gebäudebauvertrages“ vereinbarten Standards, soweit sie von den a.R.d.T. abweichen, entlang der üblicherweise vorhandenen Vertragskette weiterreichen lassen. Ausführende Unternehmer werden schließlich selten unmittelbar für den Endkunden tätig. Nicht nur bei etwaigen Nachunternehmer-Ketten, sondern auch bei einer späteren Veräußerung oder Vermietung des errichteten Gebäudes müssen die Parteien die vorhandenen Abweichungen gegenüber den a.R.d.T. ebenfalls rechtswirksam als geschuldeten Standard vereinbaren. Die Ausgangsfrage, über welche Konsequenzen und Risiken dabei dann aufzuklären ist, bliebe in diesen Fällen also bestehen.

Der Entwurf des Gebäudetyp-E-Gesetzes ist vor diesem Hintergrund ein erster Schritt in Richtung einer Entlastung des Bauwesens. Allerdings bringt der Entwurf zahlreiche neue rechtliche Unsicherheiten mit sich. Ob diese bis zu dem avisierten Inkrafttreten der Neuregelungen zu Beginn des Jahres 2025 vom Gesetzgeber abgestellt werden, ist ungewiss. Für Bauherren und Unternehmen bleibt es daher unerlässlich, vertragliche Vereinbarungen sorgfältig zu gestalten und mögliche Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik detailliert zu vereinbaren